Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow plädiert basierend auf der eigenen Führungserfahrung als ehemaliger Vorstandsvorsitzende der Brenntag AG, Hüls AG und Stinnes AG und Mitglied des Vorstands der VEBA AG für mehr Achtsamkeit in einer zunehmend dynamischen und komplexen Arbeitswelt. Aus der Achtsamkeit folgen Impulse für Fokus, Disziplin, Fleiß, Gelassenheit, Empathie, Agilität und Veränderungsfähigkeit, Intuition, Innovation und Nachhaltigkeit, Resilienz und ermöglichen schließlich Ethik.
Meyer-Galow unterscheidet drei Entwicklungsstufen der Unternehmensethik. In Business Ethics 1.0 wird die Frage beantwortet, wie Unternehmen sich verhalten sollen, wenn sie unmoralisch aufgefallen sind. In Business Ethics 2.0 verfolgen Unternehmen den Ansatz Ethikrichtlinien aufzustellen und Mitarbeiter in dieser Hinsicht zu schulen und aufzuklären. In Business Ethics 3.0 wird ein integraler Ansatz auf der Grundlage der Achtsamkeit begründet, die das Tor für inneres Wachstum ist. Integrales Bewusstsein führt dann zu integrativen unternehmerischen Handeln. Business Ethics 3.0 ist keine Wissenschaft, somit wird auch kein Wissen transferiert, sondern Erfahrungen. Denn die Erfahrungen, die wir machen können sind viel größer als unser Wissen. Wissen ist eingeengt durch das individuelle Bewusstsein. Erfahrungen erweitern unser individuelles Bewusstsein und Achtsamkeit kann nur erfahren werden.
Ethik ist immer das Ergebnis eines inneren Wachstumsprozesses der mit Achtsamkeit eines jede Einzelnen beginnt und ist als integraler Ansatz zu verstehen, der dann auch zu einem integrativen Verhalten der Unternehmensmitglieder führt. Dabei spielt auch die Jungsche Psychologie eine entscheidende aufklärende Rolle, die die Bedeutung des persönlichen und kollektiven Unbewussten (also der persönliche und archetypische „Schatten“ nach C.G. Jung) und damit einhergehenden Herausforderungen bzw. erforderliche Korrekturen sichtbar macht. Der Mensch ist nach C.G. Jung Gut und Böse, der „Schatten“ ist als solcher daher anzunehmen und die Frage ist, wie das Individuum mit dem Bösen umgeht. Wenn ein Mensch unter Druck kommt besteht die Gefahr, dass die dunkle Seite, also alles, was bisher verdrängt und unterdrückt war auftaucht und Regie übernimmt. So weist er darauf hin, dass trotz Ethik Richtlinien z.B. Software manipuliert wird und die Kunden irregeführt werden (Beispiel VW) und bringt viele weitere Beispiele. Die Frage ist, wie das Individuum das Erkennen der dunklen Seite trainieren kann und selbst korrigieren kann.
Vor dem Hintergrund des Schattenkonzepts nach C.G. Jung formuliert er in unternehmerischer Hinsicht: “But out of the inferior personality spring the impulses that enable diversity within the individual, impulses which when accepted and intuitively adopted can lead one away from the dangers associated with unilateral development. Applying these insights into the processes in which we engage in our business life we can see very quickly that different types of people work together differently, and that the make-up of teams working toward a common goal can have a decisive influence upon the quality of their performance. A skillful manager who wishes to maximize performance must carefully consider the compilation of teams assigned to specific tasks in order to maximize performance.“ S.84
Führungskräfte, die den Reifeprozess ausgehend von der Achtsamkeit bis hin zur Ethik nicht nicht durchlebt haben und geübt haben sind innerlich unreif geblieben. Sie müssen dauernd eine Maske aufsetzen damit niemand etwas merkt (das ist die „Persona“ nach C.G. Jung). Mit der Entwicklung des Reifeprozesses auf der Grundlage der Achtsamkeit wird die Maske durchlässiger und somit kann das Individuum innere Werte mehr nach außen senden.
Ethik kann nicht belehrend gelehrt und auswendig gelernt werden. Es können Impulse gesetzt werden, die einen Weg zur inneren Reife ermöglich, den man nur selbst gehen kann und insofern erfährt. Der Durchbruch kommt, wenn das Individuum innerlich Reife bekommt und hiermit ethisch richtiges Handeln ermöglicht wird. Nur eine Idee, die eingeatmet und in diesem Sinne erfahren wird, wird handlungswirksam. Dabei öffnet Achtsamkeit durch Leere im Hier und Jetzt alles was kommt: So entsteht aus der leeren Leinwand das Gemälde, aus der Stille entsteht Musik und aus Nichts zwischen zwei Menschen entsteht die Liebe.
Mit Wisdom 2.0 (mit Bezug auf Soren Gordhamer) zeichnen sich die Konturen und die Bedeutung des Zusammenhangs von Körper, Geist und Seele auch für Unternehmen ab. So schreibt er: “More and more companies are supporting this progressive movement, realizing that both employer and employee mindsets can be permanently changed for the better by an adoption of a mindfulness approach. There is a growing awareness of an intense desire on the part of the younger generation to work in companies which take employee’s values seriously. Those companies which are adopting this awareness are the winners.” S.60
Überzeugend ist für mich das integrale Lösungskonzept, dass in theoretischen Ansätzen bisher nicht in den Blick gekommen ist. Mit seinem Ansatz gibt er somit Impulse für die Wissenschaft für eine wirklich integrale Ethik, die dann auch praktisch wirksam werden kann.
Mit Bezug auf Hans-Peter Dürr fordert er „Das Lebende lebendiger werden lassen“, denn das ist der Weg für wirkliche Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung und das in Bezug auf alle Stakeholder. Führungskräfte haben insofern die Verantwortung der Selbstaufklärung und der Schaffung ermöglichender Strukturen für alle Mitglieder des Unternehmens und Anspruchsgruppen. Wer mit hohem Verantwortungsbewusstsein führt ist entsprechend profitabel.
Meyer-Galow hat zu dem Thema Busines Ethics 3.0 bereits eine Vielzahl von Vorträgen in Firmen gehalten, die teilweise auf Youtube veröffentlicht sind und eine sehr positive Resonanz erfahren. Fruchtbar ist sein reichhaltiger Erfahrungsschatz gepaart mit anwendungsbezogenen integralen Bewusstsein.
In unserer Hochschule hat er im Rahmen der Vortragsreihe Zukunftsfähige Unternehmensführung: Ideen, Konzepte und Praxisbeispiele einen Impulsvortrag zum Thema: „Business Ethics 3.0 – Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit“ gehalten. In den anschließenden Gruppengesprächen im Format Liberating Structure war deutlich die Überzeugungskraft seines Ansatzes bei allen Teilnehmern zu spüren. Auch im Rahmen meiner Vorlesungen erfahre ich bei der Vorstellung des Ansatzes von Meyer-Galow die größte Resonanz. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung bzw. der Gesellschaft 4.0 wird der Kontrollüberschuss der Maschinen immer offensichtlicher und somit der ganzheitliche Bezug von Körper, Seele und Geist für uns Menschen entscheidend.