"Kunst ist nicht Luxus, sondern Notwendigkeit" Abhandlung der Humboldt-Gesellschaft für Wissenschaft, Kunst und Bildung e.V. (Band 36, März 2016)
daraus der Vortrag von Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow:
Manuskript des Vortrags zur Beratung des Akademischen Rats der Humboldt-Gesellschaft für Wissenschaft, Kunst und Bildung e.V. anlässlich ihrer 102. Tagung in Mannheim am 2. Oktober 2015
Warum dieser Vortrag?
Die für die Wirtschaft entwickelte Neue Integrale Ethik leitet sich von der Tiefenpsychologie nach Jung und Neumann, der Quantenphysik, den Weisheitslehren des Westens und Ostens sowie von meiner Managementerfahrung in der Wirtschaft ab.
Wenn man sich heute die unmoralischen Verhaltensweisen in der Wirtschaft anschaut, und diese nicht nur aktuell bei VW, dann muss man sich die Frage stellen, warum alle Bücher, Vorträge, zahlreichen Appelle und Richtlinien, Gesetze und ernstzunehmenden Beteuerungen für eine nachhaltige Ethik und moralisches Verhalten wenig nützen.
Es hilft wenig, dem Kollektiv ständig Ethik und Moral zu predigen, wenn die Individuen, die dieses Kollektiv bilden, in ihrer rational einseitigen Egozentrik steckengeblieben sind und ihre eigentliche Aufgabe im Leben, ihre Individuation, in einer Balance von Körper, Ratio, Seele und Geist ganzheitlich Mensch zu werden, ständig blockieren. Dem Menschen im Anthropozän ist diese Fehlentwicklung nicht bewusst. Da er, auf seinem Weg zum stabilen Ich, die Trennung vom Numinosen vollzogen hat, weiß er nicht, warum er leidet. Er kann deshalb zu wenig Brücken zu seiner Seele bauen, die seine Führerin ins Unbewusste sein könnte, dem großen Energiepotential für sein kleines, eingegrenztes Ich-Bewusstsein. Er hat sich selbst destabilisiert, und nun soll er sich auch noch ändern, Ethik hochhalten und moralisch handeln. Wegen des Ethikdrucks der Öffentlichkeit wird er umso mehr seine dunklen Seiten unterdrücken und in den Schatten verdrängen, aus dem sich dann immer wieder seine Unmoral in der Welt plötzlich auswirkt.
Erst wenn er dieses Versäumnis der Reifung zur Ganzheit in einer Lebenskrise schmerzlich erfährt, wird er sich auf den Weg machen und wieder Anschluss finden an seine seelische und spirituelle Dimension. Diese Wende in seinem Leben setzt aber eine Initiation voraus, also eine Einsicht nach innen. Dann kann er innerlich reifen und seine dunkle Seite in seinem Selbst integrieren und kontrollieren.
Das gelingt nur mit kompetenter Führung und täglichen Übungen über Jahre hinweg.Er wird sich dann zunehmend einer nachhaltigen Ethik zuwenden und moralisch handeln, nicht weil er will und soll, sondern weil er gar nicht anders kann.
Deshalb besteht immer die Hoffnung, dass dem leidenden Menschen ein Initiationsimpuls geschenkt wird, durch Vorträge, Bücher, durch Begegnungen oder jegliche Hilfe von anderen, die schon weiter sind. Dann erst kann sich das Kollektiv langsam ändern, weil gereifte Individuen die Veränderung vorleben.
Der Zweck dieses Vortrages ist es also, einen Impuls für den Wandel zu Ethik und Moral in der Wirtschaft zu geben. Dazu braucht es aber Voraussetzungen.
Was ist das RATIONALE dieses Vortrages?
Erstens ist es notwendig, das Verständnis in der Wirtschaft zu schaffen, dass unethisches und unmoralisches Verhalten nicht dauerhaft zu einem angenehmen, glücklichen Leben in geschäftlichen und privaten Bereichen führen kann, nicht für sich selbst und nicht für andere.
Zweitens versuche ich klar zu machen, dass immer nur moralisch und ethisch gut sein zu wollen, nie ein angenehmes, glückliches Leben garantieren kann, weil das durch Unterdrückung und Verdrängung aufgebaute Schattenpotential das angenehme, glückliche Leben ständig stört.
Drittens braucht es bei den Managern in der Wirtschaft eine psychische Spannung, die zur Veränderung drängt.
Viertens behandele ich die Frage, was das andere ist, das bei uns als „Invaliden einer höheren Macht“ (Herder) fehlt, und wenn es entwickelt ist, dann zu einer zufriedenstellenden Work-Life-Balance mit tiefem innerem Frieden führen kann und uns erlöst aus Leid, Angst und Stress?
Es dauert lange, um Menschen, die mit einem Energie verbrauchenden Streben nach Erfolg und Wohlstand leben, klar zu machen, dass dieses Leben nie zu dauerhaftem innerem Frieden und Freiheit führen kann. Erfolg und Wohlstand sind wie eine Droge.
Aber für eine nachhaltige Ethik und Moral brauchen wir einen inneren Frieden und eine innere Ruhe, die aus innerer Entwicklung resultiert und uns genügend äußere Stärke und Macht gibt, um robust in der Außenwelt zu sein und von einem Kurs der verantwortungsvollen und nachhaltigen Ethik nicht abweichen zu wollen oder zu müssen.
Natürlich gibt es verantwortungsvolle und ethische Manager, aber die sind eine Minderheit. Dieser Vortrag richtet sich an die anderen; diejenigen, die in ihrer kindlichen Sozialisation stecken geblieben sind, sich unmoralisch verhalten und anderen schaden. Wie kann man deren Verhaltensweisen ändern?
Dazu eine direkt an den Leser gerichtete Vorbemerkung:
Wo immer Sie in unserer Gesellschaft arbeiten oder arbeiteten und was auch immer Sie an Verantwortung übernommen haben oder vielleicht auch hatten, der Segen Ihrer Arbeit hängt immer von der Tiefe und der inneren Reife der eigenen Person und der daraus resultierenden ethisch einwandfreien Wirkung ab. Karlfried Graf Dürckheim hat diese Einsicht den Besuchern, die aus der Wirtschaft nach Todtmoos/Rütte kamen, sehr ans Herz gelegt.
Es gibt viele Ansätze für eine Wirtschaftsethik:
Wirtschaftsethik 1.0
Diese Ethik (1) wurde größtenteils als Schadensbegrenzung praktiziert, die auf folgende Fragen antwortet:
Wie ist die Agenda für die Ethik des Unternehmens in seinem Markt?
Auf was ist seine Aufmerksamkeit und Energie bei ethischen Fragen besonders gerichtet?
Wie sollte das Unternehmen bei spezifische Krisen und Störfällen konkret agieren, um aus der Kritik der Öffentlichkeit hinaus zu kommen?
Wirtschaftsethik 2.0
Diese erweiterte Ethik (1) führt zu mehr proaktiven Schritten, um die Mission und Vision des Unternehmens, sein Verhalten in der Welt und seine Verantwortung zu klären. Die Unternehmen entwickeln Ethik-Richtlinien und Ethik-Training.
Nach der heutigen Erfahrung hat auch die Wirtschaftsethik 2.0 und die „Corporate Social Responsibility“ (CSR 2.0) als Teil von ihr in der Wirtschaft nur wenig geändert, um ein nachhaltiges moralisches Verhalten zu garantieren. Damit das Konzept funktionsfähig ist, fehlen noch einige wichtige Bausteine.
Appelle nützen offensichtlich wenig. Hans Küng (2) fordert deshalb, mehr „Ethik braucht nicht noch mehr Appelle, sondern braucht die moralische Aktion!“
Ich stimme dem Dalai Lama zu, der mit seinem neuen Buch behauptet: „Ethik ist wichtiger als Religion.“ (3)
Die Veränderung des Individuums
C. G. Jung setzt sehr auf die Veränderung des Individuums, damit das Kollektiv sich ändern kann. Der Schatz der Erkenntnis liegt stets in der Tiefe unserer individuellen Seele. Der Jungianer Edward Edinger (4) versteht die Symbolik von Jungs Buch „Aion“ korrekt, wenn er ausführt, dass das neue Wassermannzeitalter „einzelne“ Wasserträger erzeugt. Dies bedeutet, dass die Psyche nicht mehr durch religiöse Gemeinschaften getragen wird, sondern sie wird von einzelnen Personen mit erweitertem Bewusstsein in der Welt verbreitet.
Das ist auch die Idee, die C. G. Jung in seinen Ausführungen über die anhaltende Inkarnation einführt, die Idee, dass die Menschen inkarnierende Gefäße des Heiligen Geistes werden müssen, und das auf kontinuierlicher Basis. Damit ist der stetige Individuationsprozess als Lebenssinnaufgabe gemeint.
Papst Franziskus (5) sieht das in seiner neuesten Enzyklica „Laudato Si“ verständlicherweise anders, wenn er meint, dass die Individuen wohl kaum durch Selbstverbesserung die Probleme der derzeitigen komplexen Situation lösen können. Isolierte Individuen würden ihre Freiheit und Fähigkeit, dem konsumorientierten Verhalten zu entfliehen, schnell verlieren und letztendlich die soziale und ökologische Aufmerksamkeit schnell dem unethischen Konsum opfern.
Ich stimme eher Jung zu, der vor 60 Jahren in einem Radio-Interview mit BBC gesagt haben soll (6):
„Es beginnt mit ein paar Menschen mit der Vision für das neue Zeitalter. Sie werden das Licht in der Dunkelheit sein. Führer und Hoffnung. Und ein Segen für die künftigen Generationen. Unser Schicksal hängt vom Bewußtsein dieser wenigen ab, die aber mehr und mehr sein werden. Eine neue Religion steht vor der Tür. Diese wenigen Menschen dürfen nicht den Ruf aus der Tiefe ihrer Seele verweigern. Was für eine große Ehre, heute zu leben“.
Cogito ergo sum
Aber seit Descartes „Cogito, ergo sum“ haben wir uns allzu sehr auf unser Denken, unsere Ratio verlassen und konzentriert und dabei den Kontakt zu unserer Seele verloren. Wir haben zwar viele großartige Erfindungen auf den Gebieten Naturwissenschaft, Technik, Medizin, Wirtschaft gemacht, aber um welchen Preis? Mit unserer Ego-zentrierten Weltsicht haben wir unsere humanistischen, persönlich-intrinsischen Werte verloren.
Die Ganzheit von Körper, Seele und Geist
Viele Menschen definieren Ganzheit, die das eigentliche Entwicklungsprogramm für Ihr Leben sein sollte, als die Einheit von Körper, Seele und Geist.
Die Interpretation von Geist als Ratio ist ein Missverständnis und schwerwiegender Fehler. Der ganze Mensch besteht aus einer Einheit von Körper, Seele und Geist (lateinisch: corpus, anima und spiritus – griechisch: soma, psyche und pneuma). Mit Geist ist immer die göttliche, spirituelle Dimension in uns gemeint und nicht unsere Ratio, das Denken oder der Verstand. Durch diesen falschen Bezug haben wir, ohne es zu merken, unsere spirituelle Dimension einfach vergessen. Dieser Fehler ist der eigentliche Grund für viele Probleme von heute. Um die Wunden zu heilen, müssen wir wieder den Sprung vom Verstand zu der objektiven Vernunft vollziehen, die Verbindung zu unserer Seele herstellen und unsere spirituelle Dimension erfahren und entdecken lernen.
Kritik des Anthropozäns
Jürgen Manemann (7) plädiert in seiner „Kritik des Anthropozäns“ dringend für
eine Neue Humanökologie als Philosophie der Hoffnung. Er bezieht sich auf Ulrich Horstmann (8) „Das Untier“, der die Weltgeschichte als eine negative Fortschrittsgeschichte darstellt, und kritisiert den immer noch andauernden Fortschrittsoptimismus Christian Schwägerls (9) in „Menschenzeit“. Er beschäftigt sich mit der vom Menschen angerichteten Umweltproblematik, der erforderlichen Nachhaltigkeit jeglichen Wirkens, die eine ethisch einwandfreie „Haltung“ des Individuums voraussetzt. Die „Menschwerdung“ als „Richtungspfad“ stellt er in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Die Kreativität ist für ihn die Ressource dafür. Er fordert die Neuentdeckung des SELBST, die Neuentdeckung der Natur…………………….
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